Eine Künstlerfamilie - Oda Hardt-Rösler

Helmut R. Leppien

Sie muss eine anziehende Erscheinung gewesen sein. Die junge Frau mit dem ernsten, melancholischen Blick unter den schön geschwungenen Brauen fesselt uns nicht nur im Selbstbildnis, das sie mit 16 Jahren gezeichnet hat, sondern auch angesichts mehrerer Bildnisse von der Hand ihres Mannes. Aber wie soll man der künstlerischen Arbeit eines Menschen gerecht werden, welcher in der für die Entwicklung eines jeden Künstlers wichtigsten Zeit, vom 27. Lebensjahr an, zwei Jahrzehnte mit der Produktion ausgesetzt hat? Oda Hardts große Begabung machen schon die wenigen erhaltenen Arbeiten aus der Jugenzeit erkennbar. Das Damenbildnis, nach zuverlässigem Bericht schon vor der Jahrhundertwende entstanden, ist mit solcher Sensibilität für Farbvaleurs und so sicher im Aufbau gemalt, wie man es bei einer noch nicht Zwanzigjährigen kaum erwartet. Das wohl aus der Brautzeit stammende „Hauskonzert“ stehe als Beispiel für die weitere Entwicklung. Das kleine Blatt, kühn gegliedert, ist eine eigenständige Leistung, streng und zugleich stimmungsvoll.

Danach kam die über zwanzigjährige Unterbrechnung künstlerischen Tuns. Eine andere kreative Aufgabe nahm sie erst in Anspruch: die Kindererziehung.

Wir dürfen vermuten, dass sie nicht geringere Erfüllung gebracht hat. Dann kam nach zehnjähriger Ehe der Tod des Mannes, der Oda Hardt-Rösler tief getroffen haben muss, den sie nach dem Zeugnis der Tochter nie verwunden hat. In der Zeit des ruhelosen Umherziehens (wie man den häufigen Ortswechsel bis zur Niederlassung in Berlin 1929 wohl nennen muss) ist sie nicht zum Malen gekommen. Was geschieht, wenn man mit dem Kunstmachen für zwei Jahrzehnte aussetzt? Wie mag die Zeit des Neuanfangs für sie gewesen sein? Hängt es mit der langen Pause zusammen, dass von nun an Jahr für Jahr nur etwa ein Gemälde fertig wurde? Es waren Bildnisse und vor allem Stillleben, die sie nun malte, langsam, mit vielen Skrupeln.

Eines der ersten Bilder aus der Zeit des Neuanfangs dürfte das Stilleben mit der Clivie sein. Es sucht sein Vorbild in der französischen Malkultur. Eine sichere, dekorative Gliederung der Bildfläche und ein differenzierter Farbgeschmack sind seine Kennzeichen. Das Bildnis eines kleinen Jungen, auch aus der Zeit um 1930, zieht uns schnell durch die großen, dunklen Kinderaugen, die aus einer hellen Gesichtsfläche kommen, in den Bann. Wir sollten darüber die eigentümlich offene Bildstruktur nicht übersehen, die nichts glättet, skizzenhafte Partien stehen lässt, die Übermalung als bildnerisches Mittel einsetzt und erkennbar macht. Oda Hardt-Rösler hatte ihr Talent nicht verloren. Was mag sie an einer intensiveren Arbeit gehindert haben?