Eine Künstlerfamilie - Waldemar Rösler

Helmut R. Leppien


In diesem Hause lassen sich Entdeckungen machen. Fünf Künstler werden vorgestellt, drei Frauen und zwei Männer, von denen die meisten selbst Kennern nicht oder kaum bekannt sind.

Waldemar Rösler starb 1916, nicht mehr als 34 Jahre alt. Seine Frau Oda Hardt-Rösler gab in den beiden wichtigsten Jahrzehnten ihrer Entwicklung das Malen auf. Beider Tochter Louise Rösler konnte in der Nazizeit nicht mehr ausstellen, schließlich gar nicht malen. Deren Mann Walter Kröhnke hatte damals die gleichen Schwierigkeiten; er ist aus dem Kriege nicht zurückgekehrt. Allein Anka Kröhnke, Tochter der beiden, konnte ihr Talent voll entfalten und ist heute eine weithin geschätzte Textilkünstlerin.

Fünf Künstler aus drei Generationen in einer Familie – das ist selten anzutreffen. Eine solche Häufung von Talenten lohnt die Aufmerksamkeit und spornt die Lust an, zu entdecken und zu vergleichen. Man wird wohl kaum einen Familienstil ausmachen, vielmehr die einzelne Begabung schätzen lernen. Aber Beziehungen lassen sich herstellen, etwa zwischen den Handschriften von Walter und Anka Kröhnke. Es formt sich ein Bild aus Unterschieden und Gemeinsamkeiten, aus Widersprüchen und Bezügen. Wir lernen Aspekte der deutschen Kunst in unserem Jahrhundert kennen, die unsere ästhetische Erfahrung bereichern und uns manchem bedeutenden Kunstwerk begegnen lassen.

Waldemar Rösler war ein Künstler, der sich der Avantgarde verweigerte. Er schloss sich nicht den Expressionisten an, mehr als die Kubisten und die Futuristen beschäftigte ihn Liebermann. 1882 ist er geboren, im selben Jahr wie Braque und Boccioni; Kirchner und Marc waren zwei Jahre, Picasso und Carrà ein Jahr älter, Heckel und Severini ein Jahr jünger. Doch diesen Jahrgängen gehören auch Karl Hofer und Albert Weisgeber an, André Derain und Hans Purrmann, Wilhelm Lehmbruck und Max Beckmann. Auch sie haben sich damals der Avantgarde verweigert und waren dennoch keine Traditionalisten, so wenig wie Rösler. Alle diese Künstler wurden von den neuen Strömungen durchaus berührt, ließen sich aber nicht mitreißen. „Für mich gibt es nur gute Kunst von einzelnen starken Persönlichkeiten, keine Richtungen“, erklärte Rösler 1914 programmatisch in der Zeitschrift „Kunst und Künstler“.

Alle, die über Röslers Kunst geschrieben haben, Karl Scheffler wie Liebermann, Kurt Steinbart, auch jüngst noch Dietrich Schubert, versuchten ihn gegen die Avantgarde auszuspielen. Diese, die Modischen, die Radikalisten, von denen „all das tolle Zeug“ stammt, „das uns das letzte Dezennium vor dem Kriege gebracht hat“ (M. L.), die „vielen effekthascherischen und marktschreierischen Ismen“ (K. St.). Jener dagegen, fern von Verlogenheit, souverän gegenüber dem Pub - likum, ein Ringender.

Mit diesem Antagonismus sollte man sich am Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr abgeben müssen. Blicken wir heute auf die Kunst von 1912, ist sie nicht allein vom Nebeneinander der Alten und der Jungen bestimmt – Monet neben Schiele – sondern ebenso von der Konfrontation der Neuerer und der Bewahrer: Duchamp gegenüber Modigliani.

Überwinden wir auch angesichts der Kunst des 20. Jahrhunderts eine fortschrittsgläubige Betrachtungsweise, dann bleibt neben Macke und Schmidt-Rottluff Platz für Rösler und dessen Freund, den jungen Max Beckmann. Hätte dessen Leben im Weltkrieg geendet wie das Röslers, wäre er wahrscheinlich ähnlich vergessen wie jener. Hätte Rösler den Krieg überlebt, wäre dann auch er vom Rand ins Zentrum des Kunstgeschehens vorgedrungen?

Versuchen wir zu erklären, wodurch „dieses bei aller vorwärtsdrängenden Kraft so besonnene Talent“ (Scheffler) sich auszeichnet, so können wir an Karl Scheffler anknüpfen, der 1911 in der Zeitschrift „Kunst und Künstler“ über Röslers Landschaften schrieb, „der Reichtum ihres Kolorits“ sei „unmittelbar ... dem Natureindruck abgewonnen“. Er nannte Rösler „eine Begabung, der es natürlich ist, Naturgefühl so in Kunstformen zu verwandeln, dass das Gefühl weitergegeben und neu erweckt wird“.

Was derselbe Scheffler 1913 über Bilder wie die „Vorstadtlandschaft im Frühling“ schrieb, hat einen Tonfall, der uns heute allzu schwelgerisch vorkommen mag, aber das Besondere von Röslers Kunst trifft: „Er malt in der Nähe des Bahnhofs Großlichterfelde-Ost, wo Großstadtkehricht in den Gräben liegt und das profane Leben zur Miete wohnt, den ewigen Glanz der alltäglich neugeborenen Natur, das farbige Funkelnde des kosmischen Schöpfungsduftes.“

Und an anderer Stelle schreibt er: "Mit schönem Gelingen übersetzt Rösler seine malerisch gefundenen Anschauungen auch ins Graphische. Als Lithograph ist er schon bestimmend hervorgetreten. Er hat in die Schwarz-Weiß-Kunst das Malerische getragen und zeichnend in einer knappen und handschriftlich kühnen Weise Naturstimmungen gestaltet."

Ich lasse weiter Menschen zu Wort kommen, die Rösler und seine Kunst schätzten. Der große Liebermann schrieb ihm einen Nachruf, in dem mir vier Sätze die zentralen zu sein scheinen: „Wenig bedacht auf den gleißenden Vortrag, alles in den Ausdruck der Stimmung legend, nicht das Zufällige, sondern das Konstruktive suchend. Er baut seine Bilder wie der Architekt seine Häuser, flächig und in großen Massen. Freilich verliert seine Farbe oft den Reiz und die Durchsichtigkeit, aber das Bild gewinnt etwas, was unendlich mehr wert ist: die Raumwirkung. Wir können in seinen Landschaften spazieren gehen, so klar sind die Pläne gegliedert, so groß ist der Raum gesehen.“

In der Interpretation des bedeutenden Kunsthistorikers Kurt Badt, 1921 in der Zeitschrift für bildende Kunst erschienen, ist der entscheidende und ganz überzeugende Gedanke über Röslers Malerei, „die allein durch ihre Form wirken will“, jener von der in sich ruhenden Welt: “Gegen die Moden, Tagesinteressen, persönlichen Schicksale setzt er ein Bild des Lebens, das das ewig Bleibende, im Naturgesetz Gegründete betont.“ Daraus folgt: „Röslers Bilder sind nicht erfüllt von Bewegung, sondern von starken, aber im Gleichgewicht ruhenden Massen. Seine Weltauffassung spricht vom Allgemeinen, dem, was allen gemeinsam ist, dem gleichmäßigen Lose, vom Dasein und vom unabänderlichen Ablauf. Gewiß, auch in seinen Bildern lebt eine Spannung, aber es ist die der Gesetzmäßigkeit und der gleichen Kräfte, die sich die Waage halten.“